Interview mit Carl-A. Fechner 15.12.09


AUFBRUCH IN DIE 4. REVOLUTION

Herr Fechner, wie und wann begann für Sie der Aufbruch in die 4. Revolution?

Hermann Scheer, den ich seit langem kenne und als kämpferischen, starken und gradlinigen Mann schätze, rief mich im Januar 2006 an. „Kennst du mein neues Buch?“, fragte er. Und dann erzählte er mir zwei Stunden lang von „Energy Autonomy“. Ich war fasziniert. Das Thema erschien mir so groß, dass es einen Kinofilm rechtfertigte, der eine lösungsorientierte Vision zeigt und nicht die Katastrophe beschwört. Wir suchten nach einer Dramaturgie, die jeden anspricht, denn dieses Thema muss global angegangen werden. Energy Autonomy – das ist die Klammer, die Milliarden von Menschen vereinen kann! Sie können ihr Leben selbst in die Hand nehmen und Ungleichheiten überwinden. Wir zeigen dabei nicht nur das technologisch Machbare, sondern gesellschaftpolitische Lösungen. Ich bin überzeugt, wir können durch Energy Autonomy mehr Gerechtigkeit, weniger Krieg und die Überwindung der Armut erreichen. Und das ist revolutionär!

Sie forschen seit langem nach Vorbildern für nachhaltiges Handeln. Wo liegt das Schlüsselerlebnis für Ihren Film?

Noch immer haben zwei Milliarden Menschen keinen Zugang zu Strom! Als ich vor 30 Jahren als 26jähriger Student der Medienpädagogik in Burkina Faso in einem Dorf für meine Diplomarbeit forschte, musste ich meine Aufzeichnungen nachts mit der Taschenlampe machen. Noch heute sitzen die Menschen ohne Strom da. Ich bin überzeugt, die überfällige Veränderung gibt es nur mit dem dezentralen Einsatz Erneuerbarer Energien.

In der 4. Revolution ist unser Ansatz, hoffnungsvolle Lösungen anzubieten. Dieser spezielle Blickwinkel wurde bei mir durch den 2. Irakkrieg 1990, 1991 initiiert. Wir waren damals die einzigen Journalisten, die unabhängig in engem Kontakt mit der Friedensbewegung für öffentlich-rechtliche Sender berichteten. Nach und nach kriegst du mit, dass du auch als Friedensfilmer für Kriegsgeschichten engagiert wirst, wenn auch mit einem anderen Blick. Da wurde mir klar: Wenn du so weitermachst, wirst Du Teil des Systems. Wir entwickelten also einen anderen Blick auf die Themen und luden die Zuschauer ein, an positiven Entwicklungen teilzunehmen.

Und wann begann konkret die Reise in die 4. Revolution?

Gedreht haben wir von September 2008 bis Februar 2009 an insgesamt 60 Tagen und in elf Ländern. Aber die Vorarbeit ging natürlich viel eher los: Wir haben zunächst weltweit recherchiert mit Experten: Welche Menschen verkörpern unsere Themen wahrhaftig? Parallel dazu musste das finanzielle Konzept der Basisbeteiligung entwickelt werden. Heute sind wir der Überzeugung, dass wir die entscheidenden Protagonisten auf der Erde gefunden haben, die das Thema in ihrer ganzen Tiefe durchdrungen haben. JedeR ProtagonistIN steht für einen Teil des gesamten Themas.

Welche Begegnung, welches Ereignis hat Sie bei den Dreharbeiten persönlich am meisten beeindruckt?

Am meisten beeindruckt hat mich Muhammad Yunus mit seinen Mikrokrediten für arme Menschen. Das ist das tollste Projekt, die Frauen sind toll. Die lösen das Problem wirklich in ihrem Land, in ihrem Dorf, in ihrer Hütte. Das ist ein Aufbruch in einem islamischen Land in jeder Hinsicht. Das funktioniert!
Oder nehmen Sie unser Beispiel aus Baden-Württemberg. Wir zeigen die Renovierung eines ganz normalen durchschnittlichen Hauses. Das kann überall stehen. Es wird so umgebaut, dass es 40 Prozent weniger fossile Energie verbraucht. Die Mieter sind glücklich. Sie sparen enorme Betriebskosten und leben in einer verbesserten Wohnqualität.

KINO ALS INITIATIV- UND EVENTRAUM

Wie war Ihr formal-ästhetischer Anspruch beim Dreh?

Wir arbeiten mit einer, für einen Dokumentarfilm relativ großen und zudem erstklassigen Crew. Sorin Dragoi ist sicher einer der besten Kameramänner, ein engagierter Filmästhet mit Spielfilm-Erfahrung. Unser hochmodernes Kamerasystem SI-2K erlaubte, dass wir auch in Geschwindigkeit kraftvolle Bilder, ungewöhnliche Perspektiven filmen konnten. Damit ist zum Beispiel auch Slumdog Millionaire gedreht worden. Mona Bräuer zeigt im Schnitt ihre herausragende Doku-Kompetenz. Ich bin mit dem Ergebnis sehr zufrieden.

Ist das Kino der richtige Ort für solch ein politisches Manifest?

Das Kino ist für mich der ideale Schauplatz, ein Eventraum, in dem ich mit vielen Menschen ein gemeinsames Erlebnis habe. Diesen Ansatz nutzen wir und treiben ihn voran. Die 4. Revolution ist mehr als ein Film, es ist der Beginn eines Aufbruchs, eines persönlichen Aufbruchs. Der Film liefert Handlungskompetenz für jeden Besucher und kann – eingebettet in die Event-Kampagne – zu einem gemeinsamen Erlebnis werden. Und: der Film ist ja nicht nur Manifest, sondern zeigt grandiose Bilder, zeigt auch schwache Momente starker Personen und erzählt berührende Geschichten. Begleitet wird die Reise um die Welt von Musik, die großteils von der russischen Filmmusikerin Natalia Dittrich für die 4. Revolution komponiert wurde.

Für das Kino spricht auch, dass ich im Kino mehr Freiheiten als im TV habe, auch ästhetischer und dramaturgischer Art. Im Fernsehen gibt es Machtstrukturen, die manches erschweren. Es war wichtig, eine vollständig unabhängige Produktion zu gewährleisten – bis hin zum Filmverleih.

Ihre Protagonisten geben sich über die Kontinente hinweg gewissermaßen die Klinke in die Hand. Ein Symbol der „Community“, das weltweite Netz?

Ja, das ist ein reales und virtuelles Netz. Die kennen sich untereinander – mehr oder weniger intensiv. Dieses Netz soll der Film weiterknüpfen. Sie können sich vorstellen, dass dieser rote Faden über alle Kontinente ein sehr aufwändiger dramaturgischer Ansatz war. Aber es hat sich gelohnt – nicht nur für die Dramaturgie, auch für die Protagonisten. Dass sie miteinander in den Dialog gingen, sich über die Kontinente hinweg die Hand gaben und die Zusammenarbeit bekräftigten, das hat manchem Kraft gegeben, zum Beispiel Ibrahim Togola bei seinem Besuch in Bangladesch.

Könnte aufgrund der zahlreichen Sponsoren der Eindruck entstehen, dass Sie sich zum Sprachrohr einer bestimmten Richtung machen?

Es gibt keinen Zusammenhang zwischen Fundraising und Inhalt. Wir haben mit unseren Sponsoren vertraglich abgesichert, dass sie keinen Einfluss nehmen können. Und das haben sie auch nicht getan. Die Inhalte zählen. Und das kommunizieren wir auch offensiv!

Wer finanziert die Produktion?

Das sind Einzelpersonen und Gruppierungen: die SPD-Ortsgruppe ebenso wie der Waldorfschule, der Chef einer Schokoladenfabrik ebenso wie unser Hauptsponsor. 130 Entscheidungen von Menschen mit unterschiedlichstem Potenzial. Wir sind stolz darauf, dass wir unseren dezentralen Ansatz im Film auch für dessen Finanzierung umsetzen konnten. Das ist eine unabhängige Produktion im besten Sinne. Zur Überraschung ALLER ist dieses Finanzierungskonzept aufgegangen – nicht ausschließlich ein Millionär als Sponsor, sondern eine ganzheitliche Basis, die unsere EnergyAutonomy-Community stützt.

100 REGIONALE EVENTPARTNER

Welches Ziel hat Ihre Event-Kampagne?

Der Film ist Mittel zum Zweck und bietet eine faszinierende, im Filmbereich ganz neuartige Möglichkeit, Veranstaltungen rund um das Thema neue Energien zu initiieren. Wir werden allein in Deutschland 100 Orte haben mit aktiven Eventpartnerschaften. Wir bieten engagierten Menschen in den Regionen den Film an, um ihre eigenen Belange zu unterstützen: Menschenrechtsgruppen, Energieberater, Kirchengruppen, Solarhandwerkern vor Ort, Umweltaktivisten. Sie bewerben sich bei uns nach bestimmten Vorgaben und werden für eines der 100 regionalen Kino-Events ausgesucht. So haben die Leipziger beispielsweise gesagt: „Wir machen mit. Schließlich kann keine friedliche Revolution an Leipzig vorbeigehen!“ Es werden vorhandende Strukturen aufgegriffen und wiederbelebt. Es gibt einen neuen Anlass für runde Tische und Aktionsbündnisse. Das Ergebnis hat uns alle überwältigt.
Zum Zeitpunkt dieses Interviews nach 35 Kampagnentagen gibt es bereits Aktivitäten in
fast 50 Städten.

Wann starten Sie die Kampagne?

Sie läuft ja bereits. Die ausgesuchten Eventpartner werden zum 30. Januar 2010 nach Berlin zum Kickoff-Meeting eingeladen. Das Interesse ist groß. Wir arbeiten auf Hochtouren. Die Gruppen werden auf die regionalen Premieren vorbereitet. Sie laden örtliche VIPs ein und können mit Firmen, Vereinen oder Parteien themenspezifische Veranstaltungen organisieren. Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt.
Gleichzeitig arbeiten sie mit örtlichen Kinos zusammen. Die Kinobetreiber sind sehr angetan von dieser Idee, das Kino als Initiativ- und Eventraum zu nutzen. Nicht nur aus monetären Gründen. Viele Kinobesitzer sind politisch engagiert. Auch weil diese Event-Kampagne etwas Neues darstellt. Wir bieten Anlass und Rahmen – und dann muss jeder selber losgehen.

Bleibt Ihr Team für die Kampagne nachhaltig bestehen?

Wir initiieren die regionalen Eventpartnerschaften und begleiten sie bis zur Premiere. Dann müssen sie auf eigenen Füßen weiter laufen. Wir werden zu vielen Orten reisen und Vorträge halten. Es soll für jeden Kinobesucher ein Faltblatt geben mit den 10 besten Energie-Tipps zur sofortigen Umsetzung und den aktuellsten Informationen zum Thema Erneuerbare Energien.

PROTAGONISTEN AUCH WEITER DABEI

Sind Sie und Ihr Team Weltverbesserer?

Wir wollen motivieren, initiieren, aktivieren – ohne missionarischen Eifer. Hier arbeiten viele Menschen jeden Alters, die noch eine Idee, eine Vision haben – sei es im Bereich Umwelt, Frieden oder Menschenrechte. In der Bewegung gibt es auch Leute, die auf die Straße gehen. Und niemand sollte diese Bewegung unterschätzen.

Sie arbeiten im Film mit viel Prominenz – von Hermann Scheer über Nobelpreisträger Muhammad Yunus bis hin zur Umweltaktivistin Bianca Jagger. Waren die Protagonisten sofort gesprächsbereit?

Viele der Protagonisten, die Sie heute im Film sehen, sagten: „Darauf haben wir gewartet!“ Aber: Die Bereitschaft war nicht das Problem, sondern die Zeit. Diese engagierten Menschen arbeiten 80, 90 Stunden die Woche, sind pausenlos unterwegs. Scheer fliegt von Shanghai nach Los Angeles nach Berlin und dazwischen: Journalisten, Vorträge, Preisverleihung, Filmdreh…

Sind Ihre Interviewpartner auch über den Film hinaus in Ihrer Kampagne verankert?

Wir sind nach wie vor mit ihnen im Gespräch. Da gibt es ein großes Interesse, sich zu zeigen und mit den Menschen zu sprechen. Auch Bianca Jagger hat dies ausdrücklich angeboten. Hermann Scheer wird Einladungen annehmen und auch Juwi-Chef Matthias Willenbacher ist für Veranstaltungen ansprechbar, ebenso wie Maximilian Gege vom Bundesdeutschen Arbeitskreis für Umweltbewusstes Management (B.A.U.M.) e. V.
Für mich ist es ein Geschenk, all diesen Menschen begegnet zu sein. Die Kontakte bleiben.

Wie lange wollen Sie dran bleiben am Thema ... oder gibt es schon ein neues Filmprojekt?

Dies ist mein Lebensthema geworden. Wir werden wohl das gesamte Jahr 2010 mit dem Film und der Eventkampagne verbringen. Für mich mündet es direkt in das Thema „Glück“ – und damit wird sich dann vielleicht mein nächstes Kinoprojekt befassen. Aber in diese Entscheidung werde ich sicherlich unsere Freundinnen und Freunde in der Community miteinbeziehen. Wie unsere Energieversorgung ist auch Glück kein Schicksal, sondern etwas, was wir selbst gestalten können. Da gibt es Zusammenhänge. Wenn unsere Kampagne mithelfen könnte, zwei Milliarden Menschen mit Strom zu versorgen – das wäre für mich Glück.

Vielen Dank, Herr Fechner.